Seit über einem Monat arbeite ich nun schon in meinem Projekt im Zentr reabilitazii detei i molodjoshi, einem Heim für Straßen- und Waisenkinder, hier in Bischkek. Seit über einem Monat versuche ich außerdem, die richtigen Worte zu finden, um die Arbeit dort, die Atmosphäre, die bisherigen Eindrücke und Erfahrung zu beschreiben. Nicht, weil auch nur irgendetwas davon negativ oder an sich schwierig in Worte zu fassen wäre, sondern weil es schwer ist, den Mix meiner so subjektiven Eindrücke und Gefühle verständlich und zusammenhängend auf Papier zu bringen. Trotz alledem wage ich hiermit den Versuch:
Erst einmal ist wichtig mitzuteilen, dass ich mich im Heim unglaublich aufgehoben und angekommen fühle und die Arbeit dort sehr genieße. Meine Mitfreiwillige und ich werden dort als ein Zusatz zu den staatlich finanzierten Mitarbeitern eingesetzt. Diese beaufsichtigen die Kinder und kümmern sich darum, dass sie pünktlich zur Schule kommen, die Hausaufgaben machen usw.. Es gibt eine Ärztin im Heim, die Kinder bekommen drei warme Mahlzeiten täglich, haben Snacks, Tanzunterricht und einige hatten die Möglichkeit ein paar Wochen in den USA bei einer Gastfamilie zu leben. Ich zähle diese Sachen nicht auf, weil sie unbedingt erstaunlich sind, sondern weil ich immer wieder mit den Bildern und Stereotypen des Terms „Heim für Straßen- und Waisenkinder“ konfrontiert werde. Entgegen mancher Vorstellungen fühlt sich das Heim für mich nicht wie ein trauriger Ort an, auch wenn die Kinder und Jugendlichen selbstverständlich nicht ohne Grund dort untergebracht sind. Eher wirkt es auf mich sehr familiär, und die Kinder wie alle anderen Kinder auch, verbringen ihre Tage damit zu spielen, zur Schule zu gehen und ab und zu mit dem Versuch die Grenzen der Erwachsenen um sie herum auszutesten.
Im Heim leben Kinder und Jugendliche im Alter von ca. 3 bis 18 Jahren. Da Geschwisterkinder zusammenbleiben sollen und niemand mit 18 einfach rausgeschmissen wird, gibt es manchmal auch jüngere oder ältere Kinder. Es sind in der Regel zwischen 70 und 100 Kinder im Heim untergebracht.
Unsere Arbeit als Freiwillige ist es Zeit mit den Kindern zu verbringen. Die staatlichen Ressourcen sind ausreichend, um eine geregelte und konstante Betreuung zu gewährleisten. Bei einem Betreuer für 30 Kinder bleibt allerdings verständlicher Weise kaum Raum und Energie für Bastelprojekte, Nähen, Englisch lernen oder Springseil springen und obwohl die Hausaufgaben kontrolliert und natürlich ein bisschen geholfen werden kann, gibt es keine wirklichen Kapazitäten, sich einzeln neben jedes Kind zu setzen und ihm ganz in Ruhe noch einmal Subtrahieren oder Bruchrechnung zu erklären.
Das sind dann dementsprechend unsere Aufgaben als Freiwillige. Wir haben einen eigenen Schrank mit Brett- und Kartenspielen, Bastelutensilien, Straßenmalkreide usw.. Ob wir mit den Kindern basteln oder malen oder spielen oder einzelnen bei den Hausaufgaben helfen können wir uns dabei frei einteilen. So habe ich zum Beispiel in einer Phase Tage lang damit verbracht mit einer Gruppe kleiner Künstler Autos und Minimäuse zu zeichnen und habe mit einer Zweitklässlerin, die lesen übte, zwei Stunden lang gebraucht, um zwölf Worte zu entziffern. Meine Mitfreiwillige hat einem Jugendlichen ein wenig Klavier spielen beigebracht und wir üben mit einigen, bei denen Interesse besteht, Englisch.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Arbeit sehr facettenreich und frei ist. Sie wird davon geformt, wer die Kinder und wir Freiwilligen als Person sind und welche Interessen gerade bestehen. Ich kann ehrlich sagen, dass ich bis jetzt jeden meiner Arbeitstage genossen habe und dass es ein unglaublich schönes Gefühl ist, die Kinder als die Individuen, die sie sind kennen zu lernen.